Mehrwert Fussball
Chloey Kelly, die englische Topschützin reisst sich das Trikot vom Leib und die Menge tobt im proppenvollen Hexenkessel des Wembley-Stadions. Mit ihrem entscheidenden Tor löste sie einen medialen Sturm aus und der Frauenfussball interessiert bis heute viel stärker als in den mageren Jahren zuvor. 87’192 Fussballfans jubelten beim EM-Finale 2022 zwischen England und Deutschland im Wembley-Stadion. Das ist einzigartiger Rekord aller EM- Finalspiele (auch der Männerspiele). 17 Mio. Zuschauer und Zuschauerinnen fieberten zusätzlich am TV mit. Liebe Fussball- und Sportbegeisterte, die Schweiz wird 2025 Austragungsort der Frauenfussball-Europameisterschaft. Der Kanton Bern wird mit den Städten Thun und Bern und ihren wunderbaren Stadien, der "Stockhorn Arena" und dem "Stadion Wankdorf", gross auflaufen. Eine riesige Chance, den Sport generell voranzutreiben und Begeisterung auszulösen. Schauen wir etwas hinter die Kulissen: England, respektive die „Lionesses“ (Löwinnen) konnten dank der riesigen Fussballtradition und einer klaren Haltung gegenüber dem Frauenfussball brillieren. Sie hatten einen Plan und dieser ging auf. Die britische Torgarantin der Women’s Super League Beth Mead spielt wie alle anderen Frauen der Löwinnen auch als Vollprofi. Zusammen mit der Schweizer- Kapitänin Lia Wälti kickt sie für den FC Arsenal. Ihr Job ist Fussball und nur Fussball; trainieren- essen- schlafen und trainieren. Jeder Fussballverein muss in England eine Nachwuchsakademie führen und ein kleiner Prozentsatz des Clubbudgets (Männerbudgets) fliesst direkt in den Frauenfussball. Bei den hohen Millionenbeiträgen bewirkt schon ein Prozent viel und ermöglicht nebst den Salären für die Frauen auch einen professionellen Trainingsbetrieb. Die finanziellen Verluste des Frauenfussballs berappen ebenfalls die Männerligen, denn nach wie vor ist keines der 12 Women Super League Teams total eigenständig. Sie profitieren von etablierten Männerteams. Die gegenseitige Unterstützung, gerade auch im Nachwuchsbereich, zieht Mädchen und Frauen in die Teams und mit einer starken Basis werden die Frauenligen zukünftig wohl auch eigenständiger aufgestellt sein. Fachleute gehen davon aus, dass der Unterhalt eines Frauenteams dem Club einen fortschrittlichen Anstrich verleiht und sympathisch wirkt. Das wiederum zieht neue Fanzielgruppen und Sponsoren an. Der Club investiert sichtbar in die Marke. Obschon die englischen Grossclubs ihre Frauen anständig bezahlen, sind sie noch weit weg von „equal pay“. Ihr Anspruch ist aber nicht in erster Linie die Lohngleichheit, zumal diese horrend hohen Saläre sowieso ein heikles Thema sind. Es geht ihnen viel mehr um „equal play“. Und mit diesem Unterfangen sind wir fadengerade in der Schweiz gelandet. Wir müssen in der Schweiz im Frauenfussball momentan sicher nicht um gleiche Löhne wie bei den Männern diskutieren. Natürlich ist der Gap riesig aber vorerst müssen gleiche oder ähnliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das beginnt bei den generell dringend nötigen Rasen- und Kunstrasenfeldern; gerade auch im Kanton Bern. Weniger Randtrainingszeiten, mehr ausgebildete Trainerinnen und Funktionärinnen usw. In Bern konnten wegen fehlenden Infrastrukturen nur mit grössten Anstrengungen und Notlösungen neue Fussballteams zugelassen werden.
Es fehlen in Bern mittelfristig bis zu zehn Fussballfelder und dasselbe gilt für andere, kleinere Städte.
Besser sieht es in ländlichen Gemeinden aus. Junioren, Juniorinnen sowie niederklassige Ligen können oft erst zu später Stunde den Rasen betreten und nicht selten fehlen Frauengarderoben bei gemischten Teams. Bis zu einem gewissen Alter spielen die Mädchen mit den Buben nämlich zusammen, was sportlich und auch sozial gesehen Sinn macht. 2018 kickten in der Schweiz 25‘000 Frauen und Mädchen heute sind 34‘000 Spielerinnen in ca. 900 Teams, die ihre Leidenschaft dem runden Leder widmen. 118 Teams bereichern die Kantone Bern und Jura und werden immer sichtbarer, jedoch mit Luft nach oben. Fördern wir den Frauensport, hat das auch einen positiven Einfluss auf den Männersport. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt.
Ziel muss sein, mehr Sport und Bewegung in der Gesellschaft zu verankern und Fussball ist ein tolles Aushängeschild
- beispielsweise auch für gesellschaftspolitische Anliegen wie Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es gilt die kommende Europameisterschaft für den Sport und die Gesellschaft zu nutzen und wir sind schon ziemlich knapp dran. Wer ist bereit auch für die Zukunft die nötigen Infrastrukturen generell für den Sport zu finanzieren und zu bauen? Wer ist bereit, mehr Sport und Bewegung zu ermöglichen und wer setzt sich für den Berufsstand Trainer und Trainerin ein? Wir brauchen dringend mehr Trainerinnen im Sport und das nicht ausschliesslich im Ehrenamt und Nachwuchsbereich. Das Potential von weiblichen Coaches ist noch lange nicht abgerufen. Packen wir - Politik, Gesellschaft, Sponsoren, Schulen, Eltern, Vereine und Verbände - es an. Wir können dazu beitragen, dass die EM nicht nur ein grosses Fussballfest wird, sondern Anstoss zu viel mehr: zu mehr Nachhaltigkeit im Sport und auch zu mehr Verantwortung gegenüber der Wichtigkeit von Bewegung für alle Geschlechter und Altersklassen. Ich bin motiviert!