Anspruchsvollste Skirennen
Das «Chuenisbärgli» ist der Härtetest der Riesenslalomfahrer. Es verlangt den Athleten sowohl im physischen als auch im mentalen Bereich alles ab. Wer dieses Portfolio nicht mitbringt, wird vom knapp 1,3 km langen Hang bezwungen. Schon in den ersten Sekunden schmeissen sich die Fahrer im vereisten Kanonenrohr an die Tore. In einem schier unmöglichen Balanceakt geht der Höllenritt weiter. Schliesslich entscheiden die Einfahrt in den Zielhang und dieser selbst über Sieg oder Niederlage: Ebenfalls blankes Eis bei 60 Prozent Neigung – dort spielen sich die grossen Dramen ab. Helden werden geboren. Im Riesenslalom wirken die höchsten Kräfte auf die Athleten ein, ganz besonders bei engen Torradien und hohen Tempi. So sind die Riesentorläufer in Adelboden teils Kräften bis zum Dreifachen ihres Körpergewichts«Jeder Skirennläufer will diesen Hang ‹rocken› und ein Rennkalender ohne diese Herausforderung wäre aus sportlicher Sicht deutlich weniger wert.» Die Lungen brennen und die Herzfrequenz steigt stetig an, die Laktatproduktion schiesst hoch. Die angesäuerte Beinmuskulatur macht sich bemerkbar und der Kampf um die ideal schnelle Linie wird zur mentalen Herausforderung. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass den Trainern jeweils die Erleichterung anzusehen ist, wenn ihre Athleten heil im Ziel ankommen.
Als Schulkinder durften wir jeweils an der schwarzen Tafel die Zeiten von Pirmin Zurbriggen und seinen Konkurrenten notieren, haben mit frierenden Füssen die Skirennfahrer bewundert und jagten nach Auto- grammen. Viel später, als ausgebildete Sportlehrerin und Trainerin, konnte ich die Leistungen der Fahrer einordnen und mir ist heute bewusst, wie viel ein Athlet während Jahren in Trainingsstunden investiert, um solchen Herausforderungen trotzen zu können. Immer sitzt der Respekt von Verletzungen hart im Nacken. Der Skirennsport hat sich rasant entwickelt und ist heute auf einem Level angelangt, das kaum noch zu übertreffen ist.
Das «Chuenisbärgli» selbst ist und war Treiber dieses Fortschrittes und ist für Fahrer und Trainer die Kirsche auf der Torte. Jeder Skirennläufer will diesen Hang «rocken» und ein Rennkalender ohne diese Herausforderung wäre aus sportlicher Sicht deutlich weniger wert. Spitzensport lebt von Dimensionen, die den Weizen vom Spreu trennen. Nur die besten Athleten mit den vielseitigsten Fähigkeiten und physischen Voraus- setzungen stemmen den enormen Druck, in Adelboden Edelmetall zu gewinnen.
Ein Schlüsselmoment war für mich 2008, als Marc Berthod und Daniel Albrecht,
welche ich beide in der Juniorennati während eines Praktikums als Assistenz- und Athletiktrainerin begleiten durfte, mit vollem Risiko und entfesselten Fahrten den Hexenkessel von Adelboden toben liessen. Unvergesslich, wie zwei Youngsters, frisch und wild, technisch und physisch auf höchstem Niveau, zu Stars wurden.
Als Trainerin weiss ich, wie viele Tonnen Eisen sie im Kraftraum gestemmt, wie sie an der Robustheit ihres Rumpfes und ihrem dynamischen Gleichgewicht gearbeitet haben. Skifahren gehört zu den komplexesten Sportarten und sichtbar wird die Dynamik gerade an steilen Hängen, kombiniert mit hohen Tempi und schwierigen Übergängen. Ziel ist es, möglichst wenig auf der Kante zu fahren, um viel Gleitanteil zu generieren. Eine äusserst sensible Angelegenheit, die viel «Schneegefühl» verlangt.
Zu guter Letzt und immer noch schmunzelnd an meine Jugendjahre in der JO Adel- boden erinnert: An den Renntagen waren wir als Torwarte oder in der Rutschequipe unterwegs. Mein Bruder hatte die nette Aufgabe gefasst, als kleiner Tannenbaum verkleidet im Zielhang das Publikum zu animieren. Mein Vater war Starter und hatte immer wieder lustige Insidergeschichten zu erzählen. Viele schöne Erinnerungen
an das «Chuenisbärgli» begleiten mich auch dieses Jahr.